Was der Mann anpackt, wird zum Erfolg. Mit harter Arbeit, Talent und der nötigen Portion Durchsetzungsvermögen hat sich Tilo Wolff mit Lacrimosa in über zwei Jahrzehnten Bandgeschichte so einiges erarbeitet. Vom dunkelromantischen Act mit eingefleischter Fangemeinde bis hin zum Headliner großer Szene-Festivals führte bislang sein Weg. Nachdem zuletzt 2010 mit „Schattenspiel“ eine Werkschau alter Perlen erschien und das letzte reguläre Album „Sehnsucht“ bereits 2009 die Fans begeisterte, steigt die Spannung unter den Anhängern aktuell von Tag zu Tag. Für den September 2012 hat der Wahlschweizer nun den nächsten Longplayer angekündigt und auch die ersten Konzerttermine stehen fest.
Was weiter Details angeht, so hält sich Tilo zwar noch bedeckt und will weder den Namen des Albums, die Songtitel oder mitwirkende Gastmusiker verraten, dafür gewährt er uns aber einen Einblick in die Art und Weise, wie Lacrimosa derzeit arbeiten.
TILO WOLFF: Es gibt nicht den einen Ablauf, wie etwas Neues für Lacrimosa entsteht. Die Tracks beginnen entweder tatsächlich zuhause oder ich fahre für ein paar Tage irgendwohin und entwerfe dann dort auf meiner Gitarre oder einem mitgebrachten Keyboard erste Ideen. Manchmal nehme ich auch nur Texte mit und singe an den unterschiedlichsten Orten die Melodien vor mich hin. Es ist generell der Versucht, die bestmögliche Verbindung zwischen musikalischen Ideen und dem herzustellen, was ich ausdrücken möchte. Dann geht es weiter, dass ich damit entweder in mein eigenes Studio gehe und dort eine Vorproduktion mache oder ich fahre mit den Rohfassungen in ein anderes, angemietetes Studio. Teils geschieht dies nur aus dem Wunsch heraus, etwas Abstand zu gewinnen, oder aber, um bestimmte Aufnahmekapazitäten zu haben. Bei mir zu Hause lässt sich nun einmal kein Orchester oder ein großer Chor aufnehmen. Es kann außerdem sein, dass die Musiker, die etwas einspielen sollen, nicht zu mir kommen können, dann reise ich zu ihnen und wir gehen dort ins Studio. Der Ablauf ist insgesamt immer sehr wechselhaft und so kann sich eine Produktion über ganz Europa erstrecken.
Flexibel ist Tilo allerdings nicht nur, was die Geographie betrifft, sondern auch in der Reihenfolge der Arbeitsschritte. Festzulegen, wie weit die Produktion insgesamt fortgeschritten ist, stellt sich da als schwierig heraus.
TILO WOLFF: Ein paar Songs sind bereits komplett fertig produziert, für einige andere Nummern ist bereits alles aufgenommen und es muss nun gemischt werden, gleichzeitig laufen aber auch noch Aufnahmen und eineinhalb Songs sind noch nicht fertig komponiert. Das Spektrum der Fertigstellung reicht im Moment über den gesamten Zyklus einer Produktion. Für ein Stück ist beispielsweise die Richtung des Textes aktuell schon klar, aber die genaue Wortwahl fehlt noch. Das macht es aber auch spannend, weil man nicht müde in einem Produktionsablauf wird. Der normale Vorgang ist mehr der, dass man erst die Songs schreibt, sie dann einspielt, mischt und mastert, bis schließlich das Album fertig ist. Das Problem an dieser Reihenfolge ist, dass man an jedem Arbeitsschritt eine gewisse Zeit sitzt und irgendwann fällt einem dabei die Decke auf den Kopf. Es fehlt die Abwechslung. Seit dem letzten Album versuche ich, diesen Rhythmus zu durchbrechen und den Prozess zu variieren. Heute komponiere ich den einen Song und Morgen mixe ich einen anderen Titel. So wird es nie langweilig und es bleibt lebendig. Ein Album wird so zum organischen Wesen.
Ein schönes Bild. In dieser Situation den Überblick zu behalten, ist keine leichte Aufgabe. Tilo kann sich hier ganz auf seine bisherigen Erfahrungen verlassen.
TILO WOLFF: Dass man sich an einer Sache zu lange aufhält, kann natürlich schon passieren, dann muss man das eben an anderer Stelle wieder einsparen. Da fällt dann mal eine Nacht kürzer aus oder es bleibt nicht so viel für die Büroarbeit übrig. Was getan werden muss, muss getan werden. Ich bin, was zeitlichen Druck angeht, ein sehr schlechter Produktionsmanager und habe nicht immer die Uhr im Blick. Ich bin aber auch froh, dass es niemanden gibt, der mir im Nacken sitzt. Deshalb arbeite ich eben solange an etwas, bis ich selbst damit zufrieden bin. Den ungefähren Erscheinungstermin habe ich erst angekündigt, als mir klar war, dass nur noch wenige Schritte zu tun sind und die restlichen Maßnahmen absehbar sind. Exakt steht der VÖ-Termin aber auch jetzt noch nicht fest. Es ist nur der Monat September genannt, aber nicht der Tag, ein kleines bisschen Spielraum ist also noch.
Neben einer gewissen zeitlichen Freiheit legt Tilo viel Wert darauf, bei musikalischen Entscheidungen keine Kompromisse eingehen zu müssen. Einen Produzenten fürs neue Album hinzu zu ziehen, kommt jedoch noch aus weiteren Gründen für ihn nicht in Frage.
TILO WOLFF: Heutzutage wird ein Produzent oftmals vom Label eingesetzt, um die Kosten in Grenzen zu halten und um einen bekannten Namen aufs Album drucken zu können. Tatsächlich sitzen aber diese Leute heute gar nicht mehr im Studio und haben somit mit der eigentlichen Aufnahme gar nichts mehr zu tun- Es entsteht so immer häufiger die Situation, dass ein großer Name im Raum steht, das Ergebnis ist aber eher zweifelhaft und es stellt sich irgendwann heraus, dass nur ein Assistent von ihm je die Musik gehört hat. Das finde ich eine sehr traurige Entwicklung und so etwas hat bei Lacrimosa natürlich nichts verloren. Es gibt immer viele Komponenten, die Mittel zum Zweck einer erfolgreichen Produktion sind. Letztlich geht es aber darum, dass man sich entscheiden muss, ob es einem um die Musik geht, weil man Musiker ist und Musik machen will. Oder aber die Musik ist selbst nur Mittel zum Zweck, damit man auf irgendeine Art und Weise in die Öffentlichkeit kommt und bekannt wird. Bei letzterem Weg sollen einem so viele Menschen wie möglich helfen, damit es möglichst perfekt wird. Die Musik ist dann nur das Trägermedium. Für mich geht es um die Musik und nicht darum, die Musik für etwas Anderes zu nutzen. Wenn es also länger in der Produktion dauert, dann ist das eben so, denn letztendlich will ich auch in zehn Jahren noch zurückblicken können und sagen, dass ich mit dem Ergebnis zufrieden bin.
Damit dies auch tatsächlich gewährleistet ist, wollen wir an dieser Stelle nicht länger stören. Sobald es weitere Neuigkeiten von Lacrimosa zu berichten gibt, sind wir natürlich wieder für Euch am Ball.
Orkus, 2012
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