Musiker sind schon wirklich privilegierte Zeit-genossen. Nicht nur, dass ihr Tagesablauf ein großes Stück weit nach ihren eigenen Wün-schen rhythmisiert ist, sie werden auch noch dafür bezahlt, aller Welt ihren Seelenzustand in Form von Songs mitzuteilen.
Allen Klagen über die massiv gesunkenen Um-satzzahlen zum Trotz bliebt das Musikerdasein damit etwas ganz Besonders. Einer, der diesen Vorteil schon immer zu nutzen wusste, ist Tilo Wolff. Als musikalischer Kopf der Schweizer Gothic-Rock-Heroen Lacrimosa verpackt er seine Emotionen seit Jahren so perfekt in Songs, dass seine Fans sich mühelos in ihnen wiederfinden können. Sein jüngster Longplayer „Sehnsucht“ entstand dieses Mal passen-derweise dann auch mit mehr Interaktion als die Werke zuvor.
TILO WOLFF: Es gab viele Unterbrechnun- gen im Entstehungsprozess, weil wir immer wieder einmal auf Tournee waren, allerdings hat der direkte Kontakt mit dem Publikum während der Aufnahmen oft richtig gut getan, weil man die großen Erwartungshaltungen erleben konnte und das Komponieren wie zu einem spannungsgeladenen Geschenkever-packen wurde, ohne aber, dass ich die Inhalte austauschen musste, denn die positiven Reaktionen auf unsere Konzerte haben mich umso mehr darin bestärkt, dass wir mit Lacrimosa auf dem richtigen Weg sind, solange wir diesen konsequent verfolgen.
Dass dieser Pfad nun zur Sehnsucht als zentralem Gegenstand der Lieder führte, ergab.
TILO WOLFF: Das war keine bewusste, sondern mehr eine unter¬bewusste Entscheidung. Ich schreibe immer sehr intuitiv. Bei dieser CD bemerkte ich aber in den letzten Wochen der Produktion, dass sich alle Texte um die verschiedenen Facetten der Sehnsucht drehen.
Tilos Grundbedürfnis, sich nach fast zwei Dekaden in diesem Geschäft noch immer musikalisch auszudrücken, ist dabei über die Jahre nie verblasst.
TILO WOLFF: Ich liebe die Vorstellung, mich ans Klavier zu setzen oder die Gitarre in die Hand zu nehmen und zu wissen, dass es einige Stunden später neue Musik in dieser Welt gibt. Darin liegt für mich eine unvorstellbar große Faszination, die mich immerwieder antreibt. Dazu kommt der Drang, meine Gedanken zu Papier zu bringen, und die Verschmelzung von beidem liegt letztlich auf der Hand. Je länger ich Musik mache, desto tiefer möchte ich graben. Ich möchte den Kern der Dinge erfassen und direkt auf den Punkt kommen, ohne dabei die Musik als Kunstform sich eher zufällig aus den Augen zu verlieren.
Unter wirtschaftlichen Erfolgsdruck hat sich der Sänger trotz der Tasache, dass er seine eigene Plattenfirma
betreibt, ohnehin nie gesetzt.
TILO WOLFF: Nein, wenn dem so wäre, könnte ich nicht frei und mit dieser Faszination arbeiten. Aber ich bin glücklicherweise in der Position, dass ich mir darum auch keine Gedanken machen muss, da Lacrimosa weltweit ein treues Publikum umgibt, das genau diese Echtheit der Musik schätzt. So muss ich nie einem Trend hinterher hechten und muss mich im Nachhinein dann auch nicht für meine Musik schämen.
Wie international die Nachfrage ist, beweisen dann auch die zum Schluss des Gesprächs geäußerten Pläne.
TILO WOLFF: Im Sommer startet unsere Tour in Säo Paulo, da¬nach geht es durch Lateinamerika und auf der anderen Seite der Welt nach Japan und China. Im Herbst werden wir dann voraussichtlich in Europa ankommen, wo wir uns von Russland aus nach Deutschland durchspielen.
Na dann mal los!
2009, Peter Heymann, Piranha
Photo: darkside.ru
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